Jan 12

Adultismus und Macht in pädagogischen Beziehungen


Ein Beitrag von Natalie Papke-Hirsch
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Adultismus in Kindertageseinrichtungen – völliger Quatsch oder alltägliche Praxis?

Definitionen von Adultismus und Diskriminierung finden sich reichlich in der Fachliteratur. Ich möchte mit diesem Beitrag Reflexionsräume eröffnen und pädagogischen Fachkräften Impulse für ihre Handlungspraxis an die Hand geben.

Bin ich gut genug? Bin ich etwas wert? Bin ich zu viel, oder zu wenig? Bin ich zu schwach? Hand aufs Herz – wie häufig stellen wir uns selbst diese Fragen? Oder vielmehr: Wie häufig sagen wir uns selbst, nicht genug zu sein, nichts wert zu sein, zu viel oder zu wenig zu sein, schwach zu sein? In Worten, die durchaus als sprachliche Gewalt gegen sich selbst definiert sein könnten! Und wie häufig fragen wir uns, woher diese Art von Selbstabwertung stammt? 

Höchstwahrscheinlich, und damit möchte ich nicht sagen, dass alle Eltern und Bezugspersonen schlechte Menschen sind, stammen diese Selbstzweifel aus Erfahrungen, die wir in unserer Kindheit gemacht haben, nämlich immer dann, wenn Erwachsene mit uns in Kommunikation und Interaktion getreten sind. Vielleicht hören wir es ungern, doch als Kind haben wir dadurch, dass uns unsere eigenen Emotionen und Gefühle abgesprochen wurden, weil Erwachsene der Meinung waren, es besser zu wissen, Diskriminierung erfahren. Wir haben Adultismus erlebt. So wie alle Kinder vor uns, alle Kinder, die aktuell auf dieser Welt leben, und wahrscheinlich alle Kinder in der Zukunft. Es sei denn, wir durchbrechen den generationsübergreifenden Zyklus der Duldung und Reproduktion adultistischen Verhaltens durch selbstreflexive Prozesse. 

Adultismus beschreibt eine Machtungleichheit zwischen Erwachsenen und Kindern (auch zwischen älteren und jüngeren Kindern). Oftmals wird diese Ungleichheit damit legitimiert, dass Erwachsene älter, größer, erfahrener sind als Kinder. Adultismus ist eine Unterdrückungsform, die wir verinnerlichen, und dadurch den Zugang zu anderen Unterdrückungsformen (wie Rassismus, Sexismus, Homophobie etc.) erleichtern.

Die Auswirkungen von Adultismus zeigen sich bei Kindern auch „gegen sich selbst“. Das heißt, sie verinnerlichen die Unterdrückung, sie nehmen an und auf, was Erwachsene ihnen vorgeben – und glauben, tatsächlich weniger wert, weniger kompetent und weniger vertrauenswürdig zu sein.

Auswirkungen von Adultismus

Das ständige und stetige Erleben dieser Unterdrückungsform kann dazu führen, dass junge Kinder schon sehr früh verinnerlichen, weniger wert zu sein als Erwachsene – das heißt, Adultismus hat negative und vor allem auch nachhaltige Auswirkungen auf die Entwicklung des Selbstwertgefühls von jungen Menschen. Insgesamt kann sich das Erleben von Adultismus in konträren Verhaltensmustern zeigen: Kinder werden ruhig, in sich gekehrt, ängstlich – oder aber sie rebellieren, sind laut und „fallen auf“.

Doch was hat Adultismus mit Macht in pädagogischen Beziehungen zu tun? Haben pädagogische Fachkräfte wirklich Macht über Kinder? Als Erwachsene haben wir die Möglichkeit, Macht über jüngere Menschen auszuüben, weil wir älter sind als sie. Und Kinder dulden und akzeptieren unsere Macht und stimmen dem zu, was wir sagen oder verlangen, und befolgen unseren Willen und unser Handeln, weil wir für sie Vertrauenspersonen sind. Und dieses Vertrauen nutzen wir Erwachsenen häufig, wenn auch unbewusst und unbeabsichtigt, aus.

Wie äußert sich Adultismus im Kita-Alltag?

Vieles von dem, was wir in der täglichen Interaktion und Kommunikation zwischen Erwachsenen und Kindern beobachten können, ist Adultismus. Beispiele lassen sich reichlich finden, wenn wir den Blick in die Praxis wagen und adultistisches Verhalten tatsächlich als solches benennen. Doch statt diese Beispiele explizit aufzuzeigen, stelle ich Ihnen einige Fragen:

Gelten die Regeln der Einrichtung nur für Kinder, nicht aber für die Fachkräfte?
Gilt beispielsweise die Regel, dass die Kinder bei einer bestimmten Außentemperatur eine Jacke tragen müssen? Erzieher:in X friert selten und trägt deshalb im Außenbereich keine Jacke. Kinder, denen tendenziell auch immer warm ist, müssen aber eine Jacke tragen, auch wenn sie darunter (stark) schwitzen – einfach weil die Erwachsenen (Fachkräfte und Eltern) diese Regel aufgestellt haben.

Werden Kinder ungefragt angefasst, umarmt, hochgehoben? 
Wie gestaltet sich der Umgang mit den Gefühlen der Kinder?
Nehmen wir sie ernst? Sprechen wir Kindern ihre Gefühle ab – etwa mit dem Satz „Das war doch jetzt gar nicht so schlimm?”

Erhalten alle Kinder gleichermaßen Zugang zu allen Spielen, Materialien etc. – immer dann, wenn sie diese nutzen möchten? 
Ein Beispiel: Häufig werden neu angeschaffte Spiel- oder Bastelmaterialien so „verstaut”, dass Kinder ohne Fragen oder Unterstützung der Erwachsenen allein keinen Zugriff darauf haben. Die Begründung lautet dann häufig: „Das war teuer und ist neu und die Kinder gehen damit verschwenderisch und nicht wertschätzend um.” Besser wäre es, mit den Kindern zusammen „Umgangsregeln” für die Materialien aufzustellen und ihnen dann einen selbstbestimmten Zugang zu ermöglichen.

Sagen wir Kindern, was sie brauchen, oder fragen wir sie danach und nehmen ihre Antwort ernst?
Wie haben Sie geantwortet? Mit Fragen wie diesen gelingt es uns, unsere Handlungspraxis in den Einrichtungen zu reflektieren und Adultismus zu minimieren.

Was tun gegen Adultismus?

Wie durchbrechen wir diesen generationsübergreifenden, nicht beabsichtigten Zyklus der Reproduktion von Adultismus? Einen möglichen Ansatz bieten die folgenden vier Schritte:

1. Eigenes Heranwachsen und die eigenen Vorurteile gegenüber Kindern (unser Bild vom Kind) reflektieren
2. Mit unseren Vorurteilen gegenüber Kindern verknüpfte Gefühle in Verbindung mit dem eigenen Handeln bringen
3. Adultistisches Verhalten benennen und diesem konstruktiv entgegenwirken (bewusste Sprache, Gestik, Mimik etc.)
4. Verantwortungsbewusster Umgang mit der eigenen Macht: Reflexion darüber, wie viel Macht abgegeben wird, sodass Kinder selbstbestimmt und mitbestimmend ihren (Kita-)Alltag betreffend Entscheidungen treffen können

Die Reflexion unserer Erfahrungen, das Durchbrechen und Verändern unserer Verhaltens- und Handlungsmuster unserer Sprache sind ein stetiger Prozess. Es gilt, in einem inneren Dialog mit sich selbst zu sein und sich selbst in einer achtsamen Sprache als fehlerfreundliche, stetig lernende Person zu verstehen. Unsere Sprache und unser Verhalten werden sich nicht von heute auf morgen ändern – wir werden uns dabei ertappen, wie wir bekannte Äußerungen aussprechen oder in veraltete Handlungsmuster zurückfallen. Doch wenn wir uns selbst darauf aufmerksam machen, um dann wiederum einfühlsam in einen Dialog mit den Kindern zu gehen, sind wir auf dem richtigen Weg und einen großen Schritt weiter im Prozess, Adultismus nicht weiter zu reproduzieren.

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Zur Person
Natalie Papke-Hirsch ist Sozialpädagogin, Kita-Bildungsreferentin sowie Coachin und Mentorin für pädagogische Fach- und Führungskräfte. Ihre Fortbildungsschwerpunkte liegen auf den Themen Differenzsensibilität und Diskriminierungskritik, Kinderstube der Demokratie, Partizipation und Beschwerdemanagement sowie Zusammenarbeit mit Eltern und Familien. Neben Einzelcoachings ist sie auch in Kita-Teams als Team-(Konflikt-)Coach und Supervisorin tätig.
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