Aug 7
Die Fetale Alkoholspektrumstörung - unterschätze Folgen ein Leben lang
Ein Interview mit Anja Bielenberg, Fachberatung für die Fetale Alkoholspektrumstörung
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Als Anja Bielenberg im Februar für eine Lernvideoaufnahme zum Thema Fetale Alkoholspektrumstörung (FASD) zu uns in die Pädiko Akademie nach Kiel kommt, ist sie nicht allein. Mit dabei ist ein acht Wochen alter Säugling mit FASD, der bei Anja aktuell Inobhutnahme untergebracht ist, und Anjas Mutter, die als geprüfte Aufsichtsperson und Kinderpflegerin an dem Tag auf das Kind aufpasst, während Anja arbeitet.
Unter dem Begriff der Fetalen Alkoholspektrumstörung werden alle Formen von Schäden bei Kindern zusammengefasst, die durch den Alkoholkonsum in der Schwangerschaft verursacht wurden. Neben diesen Schädigungen sind die sozialen, emotionalen und kognitiven Defizite durch die erlittene Hirnschädigung deutlich, sodass lebenslange Unterstützung und vielfältige Hilfen notwendig werden.
Anja ist nicht nur Referentin für FASD, eine Thematik, die in der Gesellschaft weiterhin stark unterschätzt wird, sie lebt dieses Krankheitsbild auch bei sich zu Hause. Was zuerst merkwürdig klingt, wird deutlicher, wenn man einen Blick auf Anjas Familienkonstrukt wirft. Neben dem Säugling mit FASD Inobhutnahme, ist sie die Pflegemutter von zwei weiteren Kindern mit FASD, die Betreuungsfamilie einer volljährigen Pflegetochter mit FASD und die Mutter von fünf leiblichen Kindern. Dazu ist Anja gerade zum viertel Mal Oma geworden. Mit vier Kindern mit FASD und ihrer noch minderjährigen Tochter lebt sie in einem großen Haus in Nordfriesland. Eine ganz normale Pflegefamilie, wie Anja sagt. Eine ganz beeindruckende Frau und Referentin, wie wir finden.
Als Anja 2004 ihr erstes Pflegekind aufnimmt, dessen Mutter in der Schwangerschaft Alkohol getrunken hatte, weiß sie noch nichts von FASD. Sie weiß nur, dass das Kind permanent schreit, sich erbricht und nichts zu helfen scheint. Nur durch Zufall findet Anja nach langer Suche und Verzweiflung eine Seite im frühen Internet, die schwarz auf weiß genau das beschreibt, worunter ihr Pflegekind leidet – FASD. Nun beginnt für Anja ein Spießrutenlauf zu Ämtern und Anlaufstellen, bei dem sie erstmal grundlegend über das Krankheitsbild FASD informieren und sich fortlaufend für Hilfe und Unterstützung einsetzen muss. Hilfen und Unterstützung für ein Krankheitsbild, das erst seit 2012 in den S3-Leitlinien aufgeführt und bis heute nicht als Behinderung anerkannt wird.
Mittlerweile beschäftigt sich Anja Bielenberg seit über 20 Jahren mit FASD. Aus all ihren Erfahrungen und ihrer Expertise ist das Weiterbildungsangebot „blauesnest” für Eltern mit FASD-Kindern entstanden. Dort berät sie individuell und ohne Bewertung, klärt auf und bietet entsprechende Hilfsmöglichkeiten an. Außerdem bietet sie als deutschlandweit aktuell einzige FASD-Expertin die Weiterbildung Fachkraft für dein FASD-Kind für leibliche Eltern, Pflege- und Adoptiveltern an und ist in der finalen Planungsphase der Zusatzqualifikation Fachkraft für ein FASD-Kind für pädagogisches Fachpersonal.
Unter dem Begriff der Fetalen Alkoholspektrumstörung werden alle Formen von Schäden bei Kindern zusammengefasst, die durch den Alkoholkonsum in der Schwangerschaft verursacht wurden. Neben diesen Schädigungen sind die sozialen, emotionalen und kognitiven Defizite durch die erlittene Hirnschädigung deutlich, sodass lebenslange Unterstützung und vielfältige Hilfen notwendig werden.
Anja ist nicht nur Referentin für FASD, eine Thematik, die in der Gesellschaft weiterhin stark unterschätzt wird, sie lebt dieses Krankheitsbild auch bei sich zu Hause. Was zuerst merkwürdig klingt, wird deutlicher, wenn man einen Blick auf Anjas Familienkonstrukt wirft. Neben dem Säugling mit FASD Inobhutnahme, ist sie die Pflegemutter von zwei weiteren Kindern mit FASD, die Betreuungsfamilie einer volljährigen Pflegetochter mit FASD und die Mutter von fünf leiblichen Kindern. Dazu ist Anja gerade zum viertel Mal Oma geworden. Mit vier Kindern mit FASD und ihrer noch minderjährigen Tochter lebt sie in einem großen Haus in Nordfriesland. Eine ganz normale Pflegefamilie, wie Anja sagt. Eine ganz beeindruckende Frau und Referentin, wie wir finden.
Als Anja 2004 ihr erstes Pflegekind aufnimmt, dessen Mutter in der Schwangerschaft Alkohol getrunken hatte, weiß sie noch nichts von FASD. Sie weiß nur, dass das Kind permanent schreit, sich erbricht und nichts zu helfen scheint. Nur durch Zufall findet Anja nach langer Suche und Verzweiflung eine Seite im frühen Internet, die schwarz auf weiß genau das beschreibt, worunter ihr Pflegekind leidet – FASD. Nun beginnt für Anja ein Spießrutenlauf zu Ämtern und Anlaufstellen, bei dem sie erstmal grundlegend über das Krankheitsbild FASD informieren und sich fortlaufend für Hilfe und Unterstützung einsetzen muss. Hilfen und Unterstützung für ein Krankheitsbild, das erst seit 2012 in den S3-Leitlinien aufgeführt und bis heute nicht als Behinderung anerkannt wird.
Mittlerweile beschäftigt sich Anja Bielenberg seit über 20 Jahren mit FASD. Aus all ihren Erfahrungen und ihrer Expertise ist das Weiterbildungsangebot „blauesnest” für Eltern mit FASD-Kindern entstanden. Dort berät sie individuell und ohne Bewertung, klärt auf und bietet entsprechende Hilfsmöglichkeiten an. Außerdem bietet sie als deutschlandweit aktuell einzige FASD-Expertin die Weiterbildung Fachkraft für dein FASD-Kind für leibliche Eltern, Pflege- und Adoptiveltern an und ist in der finalen Planungsphase der Zusatzqualifikation Fachkraft für ein FASD-Kind für pädagogisches Fachpersonal.
Welche Formen gibt es innerhalb der Fetalen Alkoholspektrumstörung?
Es gibt das Fetale Alkoholsyndrom (FAS); das ist das Vollsyndrom. Beim FAS müssen die drei Kriterien Wachstumsstörungen, Auffälligkeiten im Gesicht und Auffälligkeiten im zentralen Nervensystem vorliegen, um die Beeinträchtigung zu diagnostizieren. Ob der Alkoholkonsum der Mutter bekannt ist, ist in diesem Fall egal, da diese drei Marker schon aussagekräftig genug sind, um eine Diagnose zu stellen.
Dann gibt es das partielle Fetale Alkoholsyndrom (pFAS). Bei dieser Form fehlt als Marker das verminderte Geburtsgewicht oder die Größe. Es müssen nur zwei Kriterien vorliegen, nämlich die Gesichtsauffälligkeiten und die Auffälligkeiten im zentralen Nervensystem. Das sind die Fälle, bei denen Kinder, wie einer meiner Pflegesöhne, als normale kleine Wonneproppen zur Welt kommen und die Wachstumsstörungen als Merkmal herausfallen. Es ist aber extrem wichtig zu betonen, dass Menschen mit pFAS durch die Beeinträchtigungen der exekutiven Funktionen und Verhaltensauffälligkeiten trotzdem genauso beeinträchtigt sind, wie Personen mit FAS.
Die alkoholbedingten entwicklungsneurologischen Störungen (ARND) beschreiben eine weitere Form von FASD, bei der neurologische Störungen im Vordergrund stehen. Betroffene Kinder haben Auffälligkeiten im zentralen Nervensystem und daher zum Beispiel einen schaukelnden Gang oder können eine Schaukel nicht gut greifen. Bei ARND muss der Alkoholkonsum der Mutter dokumentiert sein, um eine Diagnose zu stellen, da sonst schnell alle jemanden kennen, der diese Störung hat. Wahrscheinlich findet man nämlich in jeder Kita ein Kind, bei dem die pädagogischen Fachkräfte denken: „Warum haut der sich ständig eine Beule, warum kann er Distanzen nicht gut abschätzen und ist oft verängstigt?”.
Bei den alkoholbedingten Geburtsschäden (ARBD) handelt es sich nicht um Schäden, die unter der Geburt auftreten, sondern um körperliche Schäden wie Skoliose, Beinlängendifferenz oder Kopfverformungen und Schädigungen der inneren Organe, wie an Herz oder Nieren. Bei dieser Form von FASD muss unbedingt der Alkoholkonsum belegt sein, weil es in diesem Fall oft die erbliche Veranlagung zu genetischen Krankheiten gibt. ARBD können daher tatsächlich nur durch Ausschluss mithilfe einer Genanalyse diagnostiziert werden. Alle Formen implizieren Aufmerksamkeitsprobleme, Probleme mit der Entscheidungsfindung, ein gestörtes Sozialverhalten, also die mangelnde Einhaltung sozialer Regeln, Störung des Kurzzeitgedächtnisses und vermindertes Sprach- und Aufgabenverständnis sowie Fremd- und Eigengefährdung. Einfach gesagt: ein schweres Leben in einer verkehrten Welt, ein pausenloser Anschlag auf die Sinne.
Dann gibt es das partielle Fetale Alkoholsyndrom (pFAS). Bei dieser Form fehlt als Marker das verminderte Geburtsgewicht oder die Größe. Es müssen nur zwei Kriterien vorliegen, nämlich die Gesichtsauffälligkeiten und die Auffälligkeiten im zentralen Nervensystem. Das sind die Fälle, bei denen Kinder, wie einer meiner Pflegesöhne, als normale kleine Wonneproppen zur Welt kommen und die Wachstumsstörungen als Merkmal herausfallen. Es ist aber extrem wichtig zu betonen, dass Menschen mit pFAS durch die Beeinträchtigungen der exekutiven Funktionen und Verhaltensauffälligkeiten trotzdem genauso beeinträchtigt sind, wie Personen mit FAS.
Die alkoholbedingten entwicklungsneurologischen Störungen (ARND) beschreiben eine weitere Form von FASD, bei der neurologische Störungen im Vordergrund stehen. Betroffene Kinder haben Auffälligkeiten im zentralen Nervensystem und daher zum Beispiel einen schaukelnden Gang oder können eine Schaukel nicht gut greifen. Bei ARND muss der Alkoholkonsum der Mutter dokumentiert sein, um eine Diagnose zu stellen, da sonst schnell alle jemanden kennen, der diese Störung hat. Wahrscheinlich findet man nämlich in jeder Kita ein Kind, bei dem die pädagogischen Fachkräfte denken: „Warum haut der sich ständig eine Beule, warum kann er Distanzen nicht gut abschätzen und ist oft verängstigt?”.
Bei den alkoholbedingten Geburtsschäden (ARBD) handelt es sich nicht um Schäden, die unter der Geburt auftreten, sondern um körperliche Schäden wie Skoliose, Beinlängendifferenz oder Kopfverformungen und Schädigungen der inneren Organe, wie an Herz oder Nieren. Bei dieser Form von FASD muss unbedingt der Alkoholkonsum belegt sein, weil es in diesem Fall oft die erbliche Veranlagung zu genetischen Krankheiten gibt. ARBD können daher tatsächlich nur durch Ausschluss mithilfe einer Genanalyse diagnostiziert werden. Alle Formen implizieren Aufmerksamkeitsprobleme, Probleme mit der Entscheidungsfindung, ein gestörtes Sozialverhalten, also die mangelnde Einhaltung sozialer Regeln, Störung des Kurzzeitgedächtnisses und vermindertes Sprach- und Aufgabenverständnis sowie Fremd- und Eigengefährdung. Einfach gesagt: ein schweres Leben in einer verkehrten Welt, ein pausenloser Anschlag auf die Sinne.
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Was genau passiert eigentlich, wenn Frauen in der Schwangerschaft Alkohol konsumieren?
Die Gefahr einer Schädigung in der Schwangerschaft besteht ab dem Tag, an dem sich der Embryo in der Gebärmutter eingenistet hat und die Plazenta entstanden ist. Ist das Kind an den Blutkreislauf der Mutter angeschlossen, teilt sie alles, was sie zu sich nimmt, mit ihrem Ungeborenen. Man muss dabei wissen, dass Alkohol plazentagängig ist. Das heißt, wenn eine Frau in der Schwangerschaft Alkohol trinkt, unterscheidet der Körper nicht, was da fließt. Alkohol wird so klein aufgespalten, dass er 1:1 durch die Plazenta in den Blutkreislauf des Ungeborenen eindringt. Es gibt beispielsweise auch Medikamente, die nicht plazentagängig sind, da der Körper sie größer aufspaltet und diese Teile nicht durch die Plazentawand passen und so nicht in den Organismus des Ungeborenen gelangen können.
Die große Gefahr bei Alkohol in der Schwangerschaft ist, dass es keine ungefährliche Menge und keinen ungefährlichen Zeitpunkt gibt, an dem keine Schädigungen auftreten können, da sich das Ungeborene nach der Verschmelzung von Eizelle und Spermium unaufhörlich entwickelt und einem biologischen Reifeprozess unterliegt. Diese Entwicklungsschritte sind bis zum Tage der Geburt störanfällig, gerade bei einer schädlichen Substanz wie dem Alkohol. Das erklärt die hohe Rate an Schädigungen an Herz, Nieren, Augen und anderen Organen und Körperteilen, wie dem Skelett mit Kleinwüchsigkeit, kleinem Kopfumfang oder Verwachsungen der Finger oder Fußzehen.
Die große Gefahr bei Alkohol in der Schwangerschaft ist, dass es keine ungefährliche Menge und keinen ungefährlichen Zeitpunkt gibt, an dem keine Schädigungen auftreten können, da sich das Ungeborene nach der Verschmelzung von Eizelle und Spermium unaufhörlich entwickelt und einem biologischen Reifeprozess unterliegt. Diese Entwicklungsschritte sind bis zum Tage der Geburt störanfällig, gerade bei einer schädlichen Substanz wie dem Alkohol. Das erklärt die hohe Rate an Schädigungen an Herz, Nieren, Augen und anderen Organen und Körperteilen, wie dem Skelett mit Kleinwüchsigkeit, kleinem Kopfumfang oder Verwachsungen der Finger oder Fußzehen.
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Wie oft tritt die Fetale Alkoholspektrumstörung bei Kindern in Deutschland auf?
Das ist sehr schwierig zu sagen, da Angaben nicht so leicht zu finden sind. Für 2020 hat die Bundesregierung für ganz Deutschland offiziell rund 300.000 FASD-Fälle vermeldet. Die Deutsche Hauptstelle für Suchtfragen geht von 1,6 Millionen Fällen aus. Dabei ist es ganz wichtig zu betonen, dass es bei den Fällen nicht um alkoholkranke, sondern um alkoholgeschädigte Menschen geht. Je Stunde wird in Deutschland ein Kind mit Fetalen Alkoholschäden geboren.
Es gibt noch weitere Zahlen, die wichtig zu nennen sind. 58 Prozent der Schwangeren konsumieren Alkohol trotz des Wissens um ihre Schwangerschaft weiter. 44 Prozent der schwangeren Frauen wissen gar nichts von der Entstehung des Fetalen Alkoholsyndroms. Viele denken weiterhin: „Ein Glas, das macht doch nichts.” Doch – ein Glas kann schon reichen, um am Ende ein schwerstbehindertes Kind zur Welt zu bringen. Das ist Fakt!
Es gibt noch weitere Zahlen, die wichtig zu nennen sind. 58 Prozent der Schwangeren konsumieren Alkohol trotz des Wissens um ihre Schwangerschaft weiter. 44 Prozent der schwangeren Frauen wissen gar nichts von der Entstehung des Fetalen Alkoholsyndroms. Viele denken weiterhin: „Ein Glas, das macht doch nichts.” Doch – ein Glas kann schon reichen, um am Ende ein schwerstbehindertes Kind zur Welt zu bringen. Das ist Fakt!
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Kannst du mir Beispiele nennen, wie sich FASD bei Kindern im Alltag äußert?
Fast alle Kinder mit FASD sind Pflege- oder Adoptivkinder, und oft wird die Krankheit nicht diagnostiziert. Dafür gibt es viele Gründe. Manche sagen beispielsweise: „Oh, das Kind hat es bisher so schlecht gehabt und nun soll es ihm gut gehen und es soll keine Behinderung haben." Viele wollen diese Stigmatisierung für ihr (Pflege-)Kind nicht, andere wissen nicht um die verfügbaren Diagnostikmöglichkeiten oder Beratungsstellen.
Wenn ein Kind mit FASD ganz regulär in die Jugendhilfe eingegliedert ist, brechen diese Hilfesysteme mit 18 Jahren, spätestens mit 21 Jahren, weg und jeglicher Halt wird entzogen. Dann werden diese Kinder schnell zu Opfern oder Mitläufern, weil sie sich nicht an das gesellschaftliche System anpassen können - nicht weil sie es nicht wollen, sondern weil sie es nicht können oder es nicht aushalten, und dann rutschen sie ab. Auch Kinder, die gut integriert sind, merken ihr Defizit genau, können es aber nicht ändern, und das ist das große Drama.
Probleme, die sich beispielsweise immer im Alltag äußern, sind Schwierigkeiten mit dem abstrakten Denken und Themen wie Zeit, Mengen und Zahlen. 100 Euro sind für Menschen mit FASD fast so viel wie 0,99 Euro und 1,20 Euro mehr als 100 Euro, einfach weil die Zahl in dem Moment größer wirkt. Schaut man sich das Gehirn an, befindet sich dort bei uns gesunden Menschen eine Art Karteikasten. Da sind zum Beispiel Erfahrungen, Kochrezepte und Gefühle eingeordnet. Vielleicht sortiert man eine Karte mal falsch ein oder es geht eine und mit ihr eine Erinnerung verloren. Das ist völlig normal. Menschen mit FASD haben diese Kartei oder Wissenskarten nicht. Die Karteikarten flottieren bei ihnen frei im Raum und können nicht zugeordnet werden, sodass sie nicht auf ihr Wissen zurückgreifen können. Die Komplexität unseres täglichen Lebens – man denke nur mal an den Gang auf die Toilette und welche Schritte es dabei zu beachten gibt – bringt Menschen mit FASD permanent an ihre Grenzen, sodass sie als Kompensator oft verhaltensauffällig sind. Mehr als die Hälfte der Menschen mit FASD sind falsch oder gar nicht diagnostiziert und müssen so täglich nicht nur leben, sondern überleben.
Angesprochen auf ihre Pflegekinder mit FASD, sagt Anja am Ende des Interviews: „Die Liebe zu den eigenen Kindern ist gespeist aus der Selbstverständlichkeit, die Liebe zu den Pflegekindern ist gespeist aus der menschlichen Verantwortung." Anja übernimmt Verantwortung und setzt sich ein – nicht nur für ihre eigenen Pflegekinder mit FASD, sondern flächendeckend für mehr Aufklärung und Wissen über die Fetale Alkoholspektrumstörung, für mehr Hilfen, mehr Akzeptanz und mehr Integration der Betroffenen. Ein Mensch, der bewegt.
Wenn ein Kind mit FASD ganz regulär in die Jugendhilfe eingegliedert ist, brechen diese Hilfesysteme mit 18 Jahren, spätestens mit 21 Jahren, weg und jeglicher Halt wird entzogen. Dann werden diese Kinder schnell zu Opfern oder Mitläufern, weil sie sich nicht an das gesellschaftliche System anpassen können - nicht weil sie es nicht wollen, sondern weil sie es nicht können oder es nicht aushalten, und dann rutschen sie ab. Auch Kinder, die gut integriert sind, merken ihr Defizit genau, können es aber nicht ändern, und das ist das große Drama.
Probleme, die sich beispielsweise immer im Alltag äußern, sind Schwierigkeiten mit dem abstrakten Denken und Themen wie Zeit, Mengen und Zahlen. 100 Euro sind für Menschen mit FASD fast so viel wie 0,99 Euro und 1,20 Euro mehr als 100 Euro, einfach weil die Zahl in dem Moment größer wirkt. Schaut man sich das Gehirn an, befindet sich dort bei uns gesunden Menschen eine Art Karteikasten. Da sind zum Beispiel Erfahrungen, Kochrezepte und Gefühle eingeordnet. Vielleicht sortiert man eine Karte mal falsch ein oder es geht eine und mit ihr eine Erinnerung verloren. Das ist völlig normal. Menschen mit FASD haben diese Kartei oder Wissenskarten nicht. Die Karteikarten flottieren bei ihnen frei im Raum und können nicht zugeordnet werden, sodass sie nicht auf ihr Wissen zurückgreifen können. Die Komplexität unseres täglichen Lebens – man denke nur mal an den Gang auf die Toilette und welche Schritte es dabei zu beachten gibt – bringt Menschen mit FASD permanent an ihre Grenzen, sodass sie als Kompensator oft verhaltensauffällig sind. Mehr als die Hälfte der Menschen mit FASD sind falsch oder gar nicht diagnostiziert und müssen so täglich nicht nur leben, sondern überleben.
Angesprochen auf ihre Pflegekinder mit FASD, sagt Anja am Ende des Interviews: „Die Liebe zu den eigenen Kindern ist gespeist aus der Selbstverständlichkeit, die Liebe zu den Pflegekindern ist gespeist aus der menschlichen Verantwortung." Anja übernimmt Verantwortung und setzt sich ein – nicht nur für ihre eigenen Pflegekinder mit FASD, sondern flächendeckend für mehr Aufklärung und Wissen über die Fetale Alkoholspektrumstörung, für mehr Hilfen, mehr Akzeptanz und mehr Integration der Betroffenen. Ein Mensch, der bewegt.
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Zur Person
Anja Bielenberg leitet eine Fachpflegewohngruppe für Menschen mit FASD und ist Pflegemutter von Kindern, die vom fetalen Alkoholsyndrom betroffen sind. Sie ist Gründerin des blauenNest, einer Weiterbildungsmöglichkeit für Adoptiv-, Pflege- und leibliche Eltern mit FASD-Kindern und anderen Expert:innen. Dazu arbeitet sie als Referentin, Dozentin und Fachberatung bundesweit zum Thema FASD. Sie ist Vorstandsmitglied bei Happy Baby International e.V. und leitet das FASD Beratungszentrum (Eröffnung 1.9.24) in Bredstedt/Nordfriesland unter dem Dach des gemeinnützigen Vereins Happy-baby-international. Sie ist zudem Botschafterin der Kampagne “Happy Baby - No Alcohol".
Anja Bielenberg leitet eine Fachpflegewohngruppe für Menschen mit FASD und ist Pflegemutter von Kindern, die vom fetalen Alkoholsyndrom betroffen sind. Sie ist Gründerin des blauenNest, einer Weiterbildungsmöglichkeit für Adoptiv-, Pflege- und leibliche Eltern mit FASD-Kindern und anderen Expert:innen. Dazu arbeitet sie als Referentin, Dozentin und Fachberatung bundesweit zum Thema FASD. Sie ist Vorstandsmitglied bei Happy Baby International e.V. und leitet das FASD Beratungszentrum (Eröffnung 1.9.24) in Bredstedt/Nordfriesland unter dem Dach des gemeinnützigen Vereins Happy-baby-international. Sie ist zudem Botschafterin der Kampagne “Happy Baby - No Alcohol".
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