Mar 14

Vom Ich zum Wir zur Demokratie - Demokratie in der Kita

Ein Lernartikel von Anna Maria Kamenik
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Junge Menschen sollen selbstbestimmte, eigenverantwortliche und gemeinschaftsfähige Persönlichkeiten werden1. Als solche können sie ihre Interessen benennen und politisch einbringen. So weit, so gut – doch wie können wir Kinder und Jugendliche auf diesem voraussetzungsreichen Weg unterstützen? Der folgende Artikel verknüpft die Begriffe Demokratie und Bildung und thematisiert eine entsprechende pädagogische Haltung. Entlang von gesellschaftlichen Modellen und Beispielen aus dem Kita-Alltag stelle ich die Frage: Welche Bildung braucht eine plurale, demokratische Gesellschaft?

Was hat Demokratie mit meinem Arbeitsfeld zu tun?

Kitas sind für viele Kinder der erste Berührungspunkt mit einer größeren Gruppe Gleichaltriger und bedeutet für sie gleichzeitig Zeit, ohne ihre bisher engsten Bezugspersonen, meist die Eltern, zu verbringen. Pädagogische Fachkräfte sind also in doppelter Weise gefordert, auf die neuen Bedürfnisse, Gefühle und Erfahrungen der Kinder einzugehen, sie empathisch zu begleiten und Selbstwirksamkeitserfahrungen zu ermöglichen. Diese ersten Erfahrungen sind auch der erste kleine Spiegel gesellschaftlichen Zusammenlebens und pädagogische Fachkräfte, damit zentrale Begleiter:innen zur Stärkung demokratischer Fertigkeiten.

Der weitreichende Begriff Demokratie lässt sich für ein praxistaugliches Verständnis in die Ebenen der Lebens-, Gesellschafts- und Herrschaftsform2 aufspalten. Damit werden unterschiedliche Anknüpfungspunkte an Demokratie möglich. Bildung, verstanden als Persönlichkeitsbildung und Herausbildung einer verantwortungsbewussten und gesellschaftsfähigen Persönlichkeit, dockt an diese Dimensionen an. Junge Menschen brauchen also Übungsräume, um sich selbst, andere und ‚die Welt‘ zu entdecken. Eine pädagogische Begleitung hilft dabei, Situationen – wie Streitereien um Spielzeuge, Erfahrungen der (Nicht-)Zugehörigkeit zu einer Gruppe oder das Scheitern und Weiterüben mit Blick auf das Material und ältere Kinder – einzuordnen und persönliche Herausforderungen mit einer entwicklungsgerechten Reflexion gut zu überstehen: Eine Grunderfahrung für Demokratie.

Pädagogische Haltung und Rolle

Für diese Arbeit ist eine wertschätzende und empathische, zugleich aber auch abgrenzende und einordnende Haltung nötig, um als Vorbild zu agieren. Die Reckahner Reflexionen3 sind ein pädagogisch-ethischer, an den Kinderrechten orientierter Rahmen. Nach ihnen ist es ethisch zulässig, Kinder und Jugendliche wertschätzend anzusprechen und ihnen zuzuhören. Die pädagogische Fachkraft strebt stets die Zugehörigkeit aller zur Gruppe an und begleitet bei der (Selbst-)Achtung aller Bedürfnisse. Dagegen sind demütigende oder entwertende Verhaltensweise den Kindern, ihrer Spiele oder Produkte gegenüber nicht zulässig. Ausgrenzendes oder überwältigendes Verhalten ist ethisch ebenso wenig begründet, wie das Ignorieren herabsetzender Verhaltensweisen innerhalb der Gruppe.

Innerhalb der politischen Bildung wird oft auf den Beutelsbacher Konsens verwiesen. Dieser besagt, dass politische Bildner:innen (1) niemandem ihre eigene Position aufzwingen dürfen, (2) kontrovers darstellen sollen, was in Politik und Gesellschaft kontrovers ist und (3) sich das Ziel setzen, junge Menschen darin zu unterstützen, die eigene Position zu finden und zu benennen.

So basieren beide Konzepte auf einer demokratischen Grundüberzeugung und es ist unerlässlich, diese gegen Grenzüberschreitungen zu schützen. Sich auszudrücken, zu streiten, unterschiedlicher Meinung zu sein und für eigene Überzeugungen einzutreten, lernt man nicht allein, sondern im Umgang mit anderen. Hier sind Pädagog:innen in zweierlei Hinsicht wichtige Schlüsselpersonen. Erstens fungieren sie als Vorbilder und haben eine große Wirkung auf den Ausgang von Situationen: Kinder merken schnell, ob Erwachsene ruhig oder aufbrausend, empathisch oder vorwurfsvoll auf ein Anliegen oder einen Streit reagieren. Sie lernen modellhaft daraus, wie Erwachsene mit schwierigen und emotional-aufgeladenen Situationen umgehen, wie Grenzverletzungen thematisiert werden und auch wo Gefühlsausdruck Raum findet. Zweitens stellen pädagogische Fachkräfte oft Vertrauenspersonen dar und können als solche wichtige Ankerpunkte sein. Gerade für junge Menschen aus schwierigen Lebensverhältnissen ist Beziehungsarbeit besonders nötig, um grundlegende Demokratiefähigkeiten zu erlernen und sich als wichtigen Teil (von Demokratie) zu begreifen.

Das Selbstverständnis und die Außenwirkung pädagogischer Arbeit als Arbeit für und an Demokratie liegt ein Stück weit bei den Pädagog:innen. Gleichwohl soll nicht der Eindruck entstehen, dass allein Erziehung oder politische Bildung gesellschaftliche Probleme und Krisen lösen könnten. Hier sind ebenso ökonomische, politische oder wissenschaftliche Akteur:innen aufgerufen zu handeln. Dennoch bilden Menschen in pädagogischen Bereichen ein wichtiges Kettenglied und können eine Art Anwält:innen für junge Menschen sein, denen häufig Lobby, Macht und Stimme fehlt, um für sich selbst einzutreten. Entlang pluralistischer Werte ist eine pädagogische Begleitung auch im Sinne von Teilhabe und Chancengerechtigkeit hier eine herausfordernde, aber lohnende Arbeit.

Welche Bildung braucht eine plurale, demokratische Gesellschaft?

Je mehr Menschen zusammenkommen, angesprochen werden und sich engagieren, desto komplexer und konfliktreicher wird das Zusammenleben4. Wichtig zu verstehen ist, dass Integration und Pluralität gesellschaftliche Werte sind, die eine Gesellschaft offener und gerechter, aber auch schwieriger machen. Innerhalb von Familien und Gruppen herrschen ganz unterschiedliche Vorstellungen vom guten Leben und der Frage, was es dafür braucht. Das kommt bereits in der Kita auf, wenn beispielsweise unterschiedliche Spiele und Beschäftigungen bekannt sind, Rollenbilder sichtbar werden oder religiöse Feste zur Sprache kommen.

Zentrale Fähigkeiten, um in einer Demokratie handlungsfähig zu sein, sind Ambiguitätstoleranz, Perspektivübernahme und methodische Fähigkeiten zur Wissensgewinnung und Begegnung. Ambiguitätstoleranz bedeutet, widersprüchliche Positionen und Werte auszuhalten. Folglich auch schon früh zu üben, eigene Bedürfnisse, Interessen und Gefühle zu erkennen und auszudrücken sowie einen produktiven und wertschätzenden Umgang mit Gemeinsamkeiten, Unterschieden und Grenzen zu erleben. Daran schließt die Fähigkeit zur Perspektivübernahme an, welche einen empathischen Blick beschreibt. Der Umgang von pädagogischen Fachkräften mit den Blickwinkeln der verschiedenen Kinder und indem sie diese stellenweise bei der Kommunikation unterstützen, sind neben der spielerischen Verarbeitung z.B. über Rollenspiele bereits vorhandene Übungen für Perspektivwechsel. Zuletzt ist demokratisches Zusammenleben nicht nur voraussetzungsvoll, weil uns Verschiedenheit herausfordernd bereichert, sondern auch, weil sie viel inhaltliches und methodisches Wissen voraussetzt: Wissen über Lernen oder Informationsbeschaffung, aber auch darüber, wie das politische System auf den verschiedenen Ebenen funktioniert und zusammenhängt.

Handlungsmöglichkeiten zur Demokratiebildung 

So möchte ich abschließend noch konkrete Handlungsmöglichkeiten skizzieren, denn eine demokratische Haltung und Bildung muss sich in einer Demokratie möglichst überall finden. Demokratie ist kein abgetrennter Lebensbereich, sondern eingelassen in unseren Alltag. Damit können Pädagog:innen immer auch demokratische Werte vorleben und mit den Kindern Übungsräume für demokratische Aushandlungen entwickeln, beispielsweise indem Kinder ihre eigenen Stärken und Schwächen in der Gruppe erleben können und sich als Personen angenommen fühlen. Freie Spielzeiten, gemeinsame Entscheidungsfindung und der Blick mit Kindern auf ihre Handlungsmöglichkeiten in der Kita, zu Hause und darüber hinaus sind hier wichtige Anknüpfungspunkte. Sicherlich unterscheiden sich Handlungsfelder sehr in ihrer Alters- und Zielgruppe, in ihren personellen, zeitlichen oder räumlichen Ressourcen, in ihren Spielräumen und Kooperationsmöglichkeiten. Gleichwohl fängt demokratisches Lernen dabei an, Selbstwirksamkeit zu erfahren, sich im sozialen Miteinander zu üben und Beteiligungsformate zu erleben, bei denen der eigene Beitrag zählt. Daran können später formalere Ausdrucksformen von Demokratie anknüpfen, bspw. gibt es gut ausgearbeitete Materialien zu den Kinderrechten5. Da der Vorteil von Demokratie ihre Anpassungsfähigkeit an (global-)gesellschaftliche Herausforderungen ist, ist es von zentraler Bedeutung, Entscheidungen mit und für möglichst viele Menschen zu treffen.

So ermutige ich abschließend dazu, Demokratiebildung nicht als "Paket obendrauf" zu betrachten, sondern als bereits vorhandenes Querschnittsthema. Es ist nötig, selbstbewusst aufzutreten, die eigene Rolle und Verantwortung zu benennen. Warnen möchte ich vor Formaten der Scheinbeteiligung, bei denen die Perspektive von Kindern und Jugendlichen schlussendlich doch bewusst oder unbewusst übergangen wird: Demokratische Bildung braucht Zeit, Beziehung und Wissen auf Seiten der Kinder, sowie der Pädagog:innen. Sie öffnet schon früh Gestaltungsräume und knüpft thematisch und über Beziehungsarbeit dort an, wo junge Menschen stehen, nimmt ihre Ängste und Sorgen ernst und steht ihnen bei demokratischen Ausdrucksformen zur Seite.

1 SGBVIII Kinder- und Jugendhilfe §1
2 Vgl. Himmelmann, Gerhard (2016): Demokratie lernen: als Lebens-, Gesellschafts- und Herrschaftsform: ein Lehr- und Arbeitsbuch 4. Auflage. Schwalbach/Ts.: Wochenschau Verlag.
3 Vgl. hierzu: https://paedagogische-beziehungen.eu. Zuletzt geprüft: 31. Januar 2023
4 Vgl. El-Mafaalani (2018): Das Integrationsparadox. Warum gelungene Integration zu mehr Konflikten führt. Köln: Kiepenheuer & Witsch.
5 Bspw. hier: https://www.zdf.de/kinder/logo/kinderrechte-100.html; https://www.kinderrechte.de. Zuletzt geprüft: 31. Januar 2023.
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  Foto: Tim Kamenik 

Zur Person
Anna Maria Kamenik ist freiberufliche Pädagogin, Autorin und Dozentin. Sie interessiert sich für pädagogische Haltung und Beziehung in Verbindung mit Demokratie- und Wertebildung und fragt sich, wie ein friedliches Zusammenleben funktionieren kann. Das zeigt sie beispielsweise auf ihrem Instagram-Account @demokratie_paedagogin. Außerdem studiert sie einen allgemeinpädagogischen Master und ist aktuell als Bildungsreferentin bei einem Tagungshaus sowie als Referentin für interreligiösen Dialog tätig. 
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