Jun 2

Was Hafer- und Kuhmilch mit einem Säbelzahntiger zu tun haben - Dialog mit „Andersdenkenden“

Ein Lernartikel von Elisabeth Schaper 
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Es ist ein verregneter Montagnachmittag Ende Januar. Wie alle 14 Tage findet gleich die Dienstbesprechung statt. Noch vor ein paar Wochen hätten Sie sich darauf gefreut: auf den Austausch mit den Kolleg*innen, die Arbeit am Qualitätskonzept, den neuesten Klatsch aus den anderen Gruppen, auf Marthas selbst gebackenen Kuchen und auf einen Cappuccino aus der neuen Kaffeemaschine, die sich das Team zu Weihnachten gegönnt hat. Und jetzt steht die Dienstbesprechung bevor, doch die Freude ist nicht wirklich groß. Und der Grund dafür ist der neue Kollege Martin.

Als Martin vor 4 Monaten angefangen hat, haben sich alle gefreut - sie auch. Endlich waren alle Stellen im Team besetzt, die Dienstplanung wieder entspannter, keiner musste mehr einspringen. Und Martin übernimmt gerne auch mal Spätdienste, ist ein kreativer Kopf und bringt neue Ideen ein, von denen alle profitieren. Alle hatten den Eindruck, dass Martin auch persönlich gut reinpasst und er sich gerne auf die gemeinsame, inhaltliche Arbeit am Qualitätskonzept einlässt. Und er schätzt wie fast alle im Team einen guten Kaffee. Ein wirklicher Glücksgriff.

Und dann kam Weihnachten - und mit Weihnachten der neue, lang ersehnte Kaffee-Vollautomat in die Team-Küche. Alle waren happy und gingen beschwingt in die Weihnachtsferien. Doch kurz nach den Feiertagen, als der reguläre Kita-Betrieb in Fahrt kam, gab es dann die erste Irritation: Sie hatten gerade die Krippenkinder zum Mittagsschlaf gebracht und freuten sich auf eine kurze Pause mit frischem Cappuccino. Doch der Capu schmeckte nicht wie er soll. Ob jemand am Freitag die Maschine nicht richtig gesäubert hatte?

Nein: Martin hatte Hafermilch eingefüllt. Martin war von Anfang an der Überzeugung, dass nur Hafermilch ökologisch vertretbar sei. Das ging solange gut, wie jede:r seine eigene Milch im Kühlschrank hatte. Erst dachten alle im Team: das regelt sich schon. Tat es aber nicht. Martin blieb bei seiner Meinung. Wenn doch mal jemand im Frühdienst die bisher im Team genutzte Kuhmilch in den Kaffeeautomaten einfüllte, dauerte es keine fünf Minuten, bis Martin in der Tür stand und anfing zu diskutieren. Martin hat viele gute Argumente, ist sehr wortgewandt und hat einen langen Atem. Martha aber auch. Sie ist diejenige im Team, die leidenschaftlich gerne Kuchen backt und diesen mit dem Team gemeinsam genießt - bei einer Tasse Cappuccino. Martha weiß, was sie will, nämlich frisch geschäumte Kuhmilch in ihrem Cappuccino - das hat sie Martin auch spüren lassen: Lautstarke Diskussionen, ein Schlagabtausch nach dem anderen. Verbale Angriffe auch unterhalb der Gürtellinie füllten in den ersten Wochen des Jahres die Pausen. Noch heute können Martin und Martha nicht gleichzeitig in einem Raum sein, ohne dass der Kampf ums Recht haben nach kurzer Zeit wieder losgeht.

Nun ist es wieder soweit: Beim Gedanken an die bevorstehende Dienstbesprechung vergeht allen die Lust, vor allem auf Ihren geliebten Cappuccino. Den trinken Sie inzwischen nur noch zu Hause. Klar fehlt Ihnen der Kaffee im Job, aber für die Diskussion mit Martin haben Sie keine Kraft. Außerdem würde das noch mehr auf die Stimmung in der Kita drücken und die ist ja ohnehin ziemlich angeschlagen. Also hören Sie sich Martins Vorträge an, warum Hafermilch unverzichtbar für die Zukunft unserer Kinder ist. Sie schlucken den Widerstand runter und versuchen zu lächeln. Das ist unangenehm und fühlt sich anstrengend an. Aber Sie sind eben nicht Martha und Harmonie ist Ihnen wichtig. Den Raum einfach mit einem „Ach ne, da hab ich jetzt echt keine Lust drauf“ zu verlassen, wie es andere Kolleg:innen tun, wenn die Milch Diskussion wieder losgeht, finden Sie unfreundlich. Hoffentlich geht die Dienstbesprechung schnell rum, damit Sie bald nach Hause kommen.

Schade ist es schon - Sie waren so ein tolles Team, in dem alle gerne am Montagmorgen zur Arbeit gekommen sind. Vorbei ist der unbeschwerte Plausch mit Marthas Kuchen und die lustigen Neckereien innerhalb des Teams, wenn sich alle auf den Weg in die Dienstbesprechung machen.

Aber was tun?

Egal ob unterschiedliche Sportvereine oder das Thema Impfen. Spätestens seit der Pandemie kennt jede:r von uns Menschen, die ganz anderer Meinung sind als wir selbst. Manchmal macht es vielleicht Spaß zu diskutieren und auf diese Weise in Kontakt zu kommen. Aber was, wenn es keinen Spaß macht? Was, wenn wir gerne mit jemandem Kontakt haben möchten, der in manchen Dingen eine ganz andere Meinung vertritt als wir? Was ist, wenn wir einerseits nicht diskutieren und überzeugen wollen, andererseits ein Abwenden aber nicht in Frage kommt, weil uns die Person sehr wichtig ist oder weil wir im Arbeitskontext immer wieder aufeinandertreffen?

Jede:r von uns hat Themen, die uns schneller „auf der Palme“ bringen. Das sind Themen oder Punkte, bei denen man selbst eine sehr klare Position vertritt und nur schwer eine andere Meinung zulassen kann. Genau an diesen Punkten, an denen man nicht mit vollem Herzen sagen kann „Aha, so kann man das also auch sehen. Wir haben unterschiedliche Sichtweisen und das ist okay“, kann es hilfreich sein, innerlich einen Schritt zurückzutreten und sich zu fragen: Was ist gerade in mir los?
Dafür hilft das bekannte Beispiel vom Säbelzahntiger. Wer in Not ist, sich beispielsweise durch hitziges Argumentieren, durch „An-die-Wand-diskutieren“ bedrängt fühlt, der hat drei Möglichkeiten:

Dafür hilft das bekannte Beispiel vom Säbelzahntiger. Wer in Not ist, sich beispielsweise durch hitziges Argumentieren, durch „An-die-Wand-diskutieren“ bedrängt fühlt, der hat drei Möglichkeiten:

  • Kämpfen: So wie Martha: Indem sie versucht, die Argumente der Gegenseite zu widerlegen oder abzuwerten - möglicherweise auch durch eine bedrohliche Körpersprache oder verbale Angriffe auf die andere Person.

  • Flüchten, wie die Kolleg:innen im Beispiel, die sich räumlich entfernen oder wegdrehen und damit das Gegenüber „im Regen stehen lassen“.

  • Erstarren: Ähnlich der Person, die das Beispiel erzählt. Diese dritte Reaktionsmöglichkeit lässt sich von außen nur schwer erkennen. Die Erstarrung findet innerlich statt, während im Außen weiterhin versucht wird, möglichen Erwartungen zu entsprechen. Wer diesen Weg wählt, dem fehlt meist die innere Freiheit, die Situation zu verlassen und sich so zu schützen. 

Egal, wie wir dem „Säbelzahntiger“ begegnen, auf der Beziehungsebene zahlen wir einen hohen Preis: Der Kontakt zu Martin ist auch unabhängig von der Kaffeemaschine nicht mehr frei und unbeschwert, weil die Kolleg:innen eines der drei Muster wählen, anstatt mit Martin authentisch ins Gespräch zu gehen. Doch wie gelingt es, in einer so festgefahrenen Situation wieder in einen guten, authentischen Kontakt zu gelangen? In Anlehnung an die Gewaltfreie Kommunikation hat sich folgendes Vorgehen bewährt: 

 1. Muster erkennen
Um auszusteigen und nicht in die lang erlernten Denk- und Verhaltensweisen zu verfallen, braucht es zunächst ein Bewusstsein für die eigenen Muster.

2. Eigene Bedürfnisse wahrnehmen
Wenn ich weiß, was der Grund ist, warum ich in ein Muster verfalle und merke, welches meiner Bedürfnisse gerade nicht erfüllt ist, kann ich eine alternative Strategie wählen und so besser für mich sorgen.

3. Bedürfnis des Gegenübers erforschen
Sobald gut für mich gesorgt ist und ich mich sicher fühle, kann ich versuchen herauszufinden, weshalb mein Gegenüber sich so verhält und die Gründe dafür erkunden.

4. Üben, Üben, Üben
Je häufiger ich es schaffe, in eine wirklich interessierte, neugierige innere Haltung zu gelangen und versuche herauszufinden, was mein Gegenüber wirklich bewegt und warum es sich so verhält, desto einfacher wird es mit der Zeit. Gerade wenn wir die Früchte der Anstrengung ernten und merken, wie schön es sein kann, mit Menschen, die ganz anderer Meinung sind, als man selbst, wieder in Kontakt auf Augenhöhe zu kommen. Dies kann gelingen, wenn ich anerkennen kann, dass die Beweggründe meines Gegenübers genauso wertvoll sind wie meine eigenen.

In diesem Beispiel könnte das wie folgt aussehen: 

Die erzählende Person stellt fest, wie wichtig ihr ein gemeinsames Miteinander und Harmonie im Team sind, da es ihr ein Gefühl von Leichtigkeit und Freude an der Arbeit gibt. Im Gespräch mit Martha wird deutlich, dass sie mit ihrer Meinung gehört werden möchte. Das ist ihr besonders wichtig, da sie als Kind häufig übergangen wurde und darum kämpfen musste, sich Gehör zu verschaffen.
Andere Kolleg:innen möchten nach einem trubeligen Dienst einfach die Ruhe genießen und sich auf professioneller Ebene austauschen, um die Kita weiter voranzubringen. Und Martin? Nachdem die Kolleg:innen sich ihre eigenen Bedürfnisse bewusst gemacht haben, können sie mit Martin sprechen und sein Bedürfnis nach Respekt der Umwelt gegenüber hören. Nachdem sie gehört haben, wie wichtig ihm das Fortbestehen unserer Natur ist und der damit zusammenhängende bewusste Umgang mit unseren Ressourcen ist, können sie ihm wieder offener begegnen.

 „Wenn die Bedürfnisse auf dem Tisch liegen, findet dich die Lösung.“ (Marshall Rosenberg)

Und die Lösung? Die ergibt sich meist von selbst, wenn alle Seiten genug gehört worden sind. Vielleicht einigt sich das Team darauf, die Tage abwechselnd Kuh- und Hafermilch in die Maschine zu füllen und nur noch Kuhmilch aus nachhaltiger Landwirtschaft zu kaufen. Vielleicht wird ein zweiter Milchschäumer angeschafft. Oder es wird beim Einkauf von Bastelmaterialien künftig darauf geachtet, dass diese nachhaltig produziert und transportiert wurden. Vielleicht backt Martha ab und an veganen Kuchen und wer mag, trinkt dazu einen Cappuccino mit Kuhmilch … Der Kreativität sind keine Grenzen gesetzt.
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Zur Person
Elisabeth Schaper ist Diplom-Betriebswirtin und ausgebildete Supervisorin. Sie begleitet Teams und Führungskräfte im sozialen Bereich und unterstützt sie bei einer wertschätzenden Führung auf Augenhöhe. Die faszinierende Wirkung einer gewaltfreien Haltung und Sprache kennt sie seit 2015 und seitdem übt sie sich darin, diese Haltung in ihr Leben zu übernehmen und in ihre Arbeit einfließen zu lassen.
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