Apr 19

Ist die Kindheit in Gefahr? Kinder in Zeiten von Krisen, Pandemien und Umbrüchen


Ein Lernartikel von Jasmin Gödl
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In den letzten Jahren scheinen sich die gesundheitlichen, wirtschaftlichen sowie ökologischen Bedingungen besonders negativ entwickelt zu haben. Selbst der Frieden ist in der Krise. Die aktuelle Lebenslage wirkt sich nicht nur auf einzelne Menschen aus, sondern betrifft ganze Bevölkerungsgruppen. Besonders betroffen sind dabei die Kinder, die mit Problemen und Herausforderungen konfrontiert werden, denen sie hilflos ausgeliefert sind. Selbst Erwachsene sind teilweise mit den aktuellen Krisen überfordert.

In verschiedenen Studien, beispielsweise vom Robert-Koch-Institut, wird ersichtlich, dass Kinder aufgrund der ergriffenen Eindämmungsmaßnahmen während der Coronapandemie gehäuft unter Ängsten, Depressionen und dem Erleben einer verminderten Lebensqualität litten. Dies erhöhte auch das Risiko häuslicher Gewalt. Kinder mit einem niedrigen sozioökonomischen Status, sowie mit Migrationshintergrund schienen besonders belastet zu sein. Zudem gilt es zu beachten, dass neben der Covid-Pandemie zahlreiche weitere Krisen bestehen: Von der Energiekrise, Inflationskrise bis hin zur Klimakrise, die sich alle unmittelbar auf das persönliche Leben auswirken.

Da stellt sich die wichtige Frage: „Können Kinder in unserer Zeit tatsächlich noch echte Kindheit erleben?“

Um das beantworten zu können, gilt es zu überlegen, was Kinder brauchen, um Kindsein zu können und was wir überhaupt unter „glücklicher Kindheit“ verstehen. Betrachten wir zunächst die Definition einer „glücklichen Kindheit“: 

Wenn wir von glücklicher Kindheit sprechen, so meinen wir meist damit, dass Kinder:
• …sie selbst sein können
• …eigene Erfahrungen sammeln
• …positive Spielerlebnisse haben
• …Zeit mit Freunden zu verbringen
• …sorgenfrei und geliebt zu sein

Die Liste lässt sich noch individuell erweitern, je nach unserem persönlichen Verständnis einer glücklichen Kindheit. Hirnforscher Gerald Hüther versteht darunter, dass ein Kind dann glücklich ist, wenn es „um seiner selbst willen und bedingungslos geliebt wird. Das ist die wichtigste Erfahrung, die jedes Kind braucht.“ Dies ist aber nur möglich, wenn das Kind selbstbestimmt seinen Weg gehen darf, ohne dass es dafür die Zuwendung und die Liebe seiner Bezugsperson verliert.

Dies hat die Konsequenz, dass Ziele und Wunschvorstellungen zur Entwicklung und den Werdegang des eigenen Kindes gegen Akzeptanz, Autonomie und Vertrauen in das Kind getauscht werden. Sehen wir uns nun an, wie uns dies gelingen kann.

5 wichtige Aspekte, die Sie konkret als Eltern und Fachkräfte tun können, um Kinder in unsicheren Zeiten zu stärken und zu begleiten: 

1. Sichere Bindung zum Kind 

Eine sichere Bindung zum Kind herzustellen, bedeutet Verlässlichkeit zu bieten und emotionale Wärme zu schenken. Indem wir für das Kind da sind und einen „sicheren Hafen“ darstellen, den sie jederzeit ansteuern können, stellen wir die Grundlage zum Aufbau jeglicher Vertrauensbasis und Beziehungsnähe dar. Die Bindungsforschung hat klar festgestellt, dass wir durch eine sichere Bindung in der Lage sind, uns der Welt und seinen Themen stellen zu können. Dies beginnt bereits in der frühen Kindheit. Das Kind entfernt sich mit zunehmenden motorischen Fähigkeiten von seiner primären Bezugsperson, um mit Neugierde seine Umwelt zu erkunden. Es fühlt sich aufgrund seiner starken Beziehung zu seinen Eltern, Fachkraft etc. sicher.

Das bedeutet für mich: Ich bin für das Kind da, wenn es mich ruft. Ich reagiere unmittelbar auf seinen Hilferuf. Ich gehe Nähe ein und zeige deutliches Interesse am Tun des Kindes. Ich bin eine präsente und emotional zugewandte Bezugsperson.

2. Stabile Eltern/Fachkraft-Kind-Beziehung

Eine Beziehung zeichnet sich durch Dauerhaftigkeit aus. Es ist daher wichtig, dass die sozialen Beziehungen beständig und verlässlich sind. Die primäre Bezugsperson bleibt als wichtigste Beziehungsquelle für viele Jahre bestehen. Sie soll das Kind bis in den Übergang zum Erwachsensein begleiten. Auch pädagogische Fachkräfte stellen wichtige Bezugspersonen dar. Sie werden als sogenannte sekundäre Bezugspersonen bezeichnet. Sie sind neben den Großeltern, näheren Verwandten, die nächste wichtige Anlaufstelle für Kinder. Bei Trennung der Eltern, Todesfällen oder anderen traumatischen Ereignissen ist es wichtig, dass die Beziehung zu seinen weiteren wichtigsten Bezugspersonen erhalten bleibt. Ein soziales Netz fängt das Kind auf und trägt es auch durch schwierige Zeiten.

Das bedeutet für mich: Das Kind kann sich auf mich verlassen. Jederzeit. Ich bin für das Kind da, wenn es mich braucht. Unsere Beziehung ist nicht stimmungsabhängig. Mein Kind darf auch wichtige Beziehungen zu anderen Menschen haben. Ich biete Beständigkeit und Stabilität.

 3. Sichere und verlässliche Lebensumwelt 

Das Aufwachsen in der Familie und in der Bildungs- und Betreuungseinrichtung trägt wesentlich zur Entwicklung des Kindes bei. So ist es wichtig, dass das Kind hier ein Umfeld erlebt, das von Kontinuität und Sicherheit geprägt ist. Kinder sollten ihre Betreuungsplätze so lange wie möglich behalten. Wechsel gilt es zu vermeiden, wenn sich das Kind in der Einrichtung wohl fühlt. Es entstehen für das Kind wichtige Beziehungen außerhalb ihres familiären Umfelds. Ein solch festes Umfeld bietet Schutz. Eine sichere Lebensumwelt beinhaltet auch das Klima, in dem das Kind lebt. So spielt ein Ambiente von Wohlbefinden, Angenommensein und emotionaler Wärme eine wichtige Rolle.

Das bedeutet für mich: Ich vermittle dem Kind: “Du hast deinen Platz in der Familie und in der Bildungs- und Betreuungseinrichtung. Ich achte auf dein Wohlbefinden und biete dir Struktur und Halt.”

4. Soziales Netzwerk 

Der erweiterte Familienverband, Freunde, Bekannte sowie Wahlverwandte und pädagogische Fachkräfte sind Ressourcen, die das Kind und seine Bezugspersonen stärken und entlasten. Der Aufbau eines sozialen Netzwerkes kann gerade in herausfordernden Zeiten Unterstützung bieten.

Das bedeutet für mich: Ich kann andere um Hilfe bitten, wenn ich überlastet bin. Das Kind hat die Möglichkeit, von anderen Personen innerhalb des sozialen Netzwerks betreut zu werden. Ich achte auf meine persönlichen Grenzen, um für das Kind da sein zu können.

5.  Empowerment und Resilienzstärkung 

Die Ermutigung des Kindes in seinen Fähigkeiten und Stärken bewirkt Zutrauen in das eigene Tun und ermöglicht Erfahrungen in der Selbstwirksamkeit. Darüber hinaus stärkt es die Resilienzfähigkeit, sodass das Kind psychisch gesund durch unsichere Zeiten (Transitionen, Schulwechsel, Coronamaßnahmen) kommt. Resilienz stellt heutzutage die wesentlichste Kompetenz dar, um psychische Erkrankungen und Belastungen vorzubeugen. Sie macht uns stark für das Leben.

Das bedeutet für mich: Ich traue dem Kind etwas zu und glaube an seine Fähigkeiten. Ich ermutige es, Neues auszuprobieren, durchzuhalten und stehe ihm bei.

Zusammenfassend kann die oben gestellte Frage, ob Kinder heutzutage tatsächlich noch echte Kindheit erleben können, mit JA beantwortet werden. Krisen erschweren durchaus wichtige Rahmenbedingungen und können zur Einschränkung der Lebensqualität führen, doch Erwachsene, wie auch pädagogische Fachkräfte haben in ihrem Umgang mit diesen Krisen einen wesentlichen Einfluss auf das individuelle Erleben des Kindes. Baue ich zum Kind eine stabile Beziehung auf und ermögliche ich eine verlässliche Lebensumwelt, so werden damit die grundlegenden Aspekte für Neugierde, Offenheit und das explorative Spiel gelegt. Diese ermöglichen das freie und selbstbestimmte Spiel, das Kindheit in seinem Verständnis definiert. 

Krisen sind demnach zwar Belastungen (mit den diversen Auswirkungen und Konsequenzen), verhindern aber nicht per se eine glückliche Kindheit. Sie können mit einer zugewandten, liebevollen und präsenten Beziehung zum Kind sowie einer verlässlichen und unterstützenden Lebensumwelt überwunden und kompensiert werden. Ganz nach dem Zitat von Jean Paul Friedrich Richter: „Mit einer Kindheit voll Liebe kann man ein halbes Leben hindurch für die kalte Welt aushalten.“
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Zur Person
Jasmin Gödl ist ausgebildete Kindergarten- und Hortpädagogin und hat Erziehungswissenschaft sowie Angewandte Ethik an der Karl-Franzens-Universität Graz studiert. Seit acht Jahren lehrt sie an der Bildungsanstalt für Elementarpädagogik Graz die Unterrichtsgegenstände Pädagogik, Didaktik und Praxis. Seit mehreren Jahren ist sie dazu als Fachautorin tätig. Im letzten Jahr gründete sie die Firma: „beziehungsvolle KIGAPRAXIS“. Zu ihrer Herzensvision sagt sie: “Ich möchte mich für mehr Wertschätzung, Beziehungsqualität und Bedürfnisorientierung durch pädagogische Fachkräfte einzusetzen. "In diesem Rahmen arbeite ich auch als Fortbildnerin für zahlreiche Kindergarten- und Krippenträger.”
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