Aug 21
Sprachenvielfalt in der Kita: Bilinguale Erziehung mit dem OPOL-Modell und Translanguaging - Ein Einblick
Ein Artikel von Julia Klüver
In einer Umfrage zur Sprachfähigkeit pro Person in Deutschland, durchgeführt von Statista und YouGov, gaben im Jahr 2021 rund 40% der Befragten an, mindestens zwei Sprachen zu sprechen. Durch unsere globalisierte Welt, die Kontakte innerhalb sowie außerhalb nationaler Grenzen mit Sprecher:innen verschiedener Sprachen ermöglicht und teilweise fordert, ist zu erwarten, dass dieser Trend weiter ansteigen wird.
Nicht überraschend also, dass die bilinguale Erziehung auch in Kitas zu einem zentralen Thema in der pädagogischen Landschaft geworden ist. Diese Bildungsmethode zielt darauf ab, Kinder von klein auf mit zwei Sprachen vertraut zu machen, und spielt eine entscheidende Rolle in ihrer ganzheitlichen Entwicklung. Die Definition der bilingualen Erziehung in Kitas reicht dabei über den reinen Spracherwerb hinaus und beinhaltet auch die kulturelle Integration sowie die Aneignung interkultureller Kompetenzen.
Warum bilinguale Erziehung in der Kita?
Die Entscheidung für bilinguale Erziehung in Kitas wird durch eine Vielzahl von Vorteilen für die ganzheitliche Entwicklung der Kinder gestützt. Studien legen nahe, dass Kinder, die in einer bilingualen Umgebung aufwachsen, eine verbesserte Kognition und Problemlösungsfähigkeiten entwickeln. Der ständige Wechsel zwischen den Sprachen fördert eine flexiblere Denkweise und eine effizientere Informationsverarbeitung.
Ein bedeutender Aspekt ist dabei der frühe Zugang zu mehreren Sprachen. Durch die Integration von bilingualer Erziehung in der Kita haben Kinder die Möglichkeit, ihre Sprachkompetenzen in einem frühen Entwicklungsstadium zu stärken. Durch eine früh angelegte, gute Basis von Sprachfähigkeiten, kann jede weitere Sprache, die neu erlernt werden soll, einfacher integriert werden. Dieser frühe Erwerb von Sprachfähigkeiten kann also nicht nur den Bildungsweg der Kinder positiv beeinflussen, sondern legt auch den Grundstein für lebenslange Mehrsprachigkeit und Sprachbegeisterung. Darüber hinaus trägt die bilinguale Erziehung maßgeblich zur Förderung interkultureller Kompetenzen bei. Kinder lernen nicht nur, verschiedene Sprachen zu sprechen, sondern entwickeln auch ein tieferes Verständnis für kulturelle Vielfalt und Toleranz.
In Kitas kann die bilinguale Erziehung auf verschiedene Weisen umgesetzt werden, wobei die Wahl der Methode von den Zielen der Einrichtung, den Ressourcen und den Präferenzen der Eltern abhängt. Das "One-Person-One-Language" (OPOL)-Modell und Translanguaging sind zwei unterschiedliche Ansätze in der bilingualen Erziehung, die verschiedene Prinzipien und Methoden beinhalten.
Das OPOL-Modell
Das OPOL-Modell ist eine bewährte Methode in der bilingualen Erziehung. Dieses Modell wird in bilingualen Familien angewendet, in denen jederElternteil eine unterschiedliche Muttersprache spricht. Es kann jedoch auch in anderen Kontexten, wie in Kitas angewendet werden, wenn verschiedene Fachkräfte verschiedene Sprachen sprechen.
Bei diesem Modell spricht jede Bezugsperson, sei es ein Elternteil oder eine Fachkraft, konsequent nur eine der vereinbarten Sprachen mit dem Kind. Diese klare Trennung soll dazu beitragen, dass ein Kind beide Sprachen klar unterscheiden und erlernen kann. Die Methode ermöglicht dabei eine natürliche und konsistente Sprachentwicklung in beiden Sprachen, da die Kinder klare Sprachmuster von verschiedenen Bezugspersonen erhalten. Dies fördert nicht nur die Fähigkeiten in beiden Sprachen, sondern unterstützt auch die kognitive Entwicklung, indem es die Aufmerksamkeit und Sprachverarbeitung fördert.
Die Anwendung des OPOL-Modells im Kita-Kontext erfordert sorgfältige Planung, klare Kommunikation, Durchhaltevermögen und Zusammenarbeit zwischen den Fachkräften und den Eltern. Typische Schritte und Praktiken bei der Umsetzung des OPOL-Modells können dabei wie folgt aussehen:
1. Klare Kommunikation mit den Eltern
Die Kita sollte von Anfang offen und regelmäßig mit den Eltern kommunizieren. Die Eltern sollten darüber informiert werden, wie das OPOL-Modell funktioniert, warum es gewählt wurde und wie sie aktiv zur Umsetzung beitragen können. Außerdem ermöglicht es den Austausch von Erfahrungen, die Klärung von Fragen und falls erforderlich, die Anpassung des Modells.
2. Festlegung der Sprachen
Eltern und Fachkräfte müssen gemeinsam entscheiden, welche Sprachen im OPOL-Modell verwendet werden. Dabei kann es sich beispielsweise um die am häufigsten vertretene Familiensprache oder eine beliebte Verkehrssprache wie beispielsweise Englisch, in Kombination mit einer weiteren Gemeinschaftssprache, wie zum Beispiel Deutsch handeln.
3. Konsistenz bei der Sprachverwendung
Jede Bezugsperson, sei es eine Fachkraft oder die Eltern, spricht konsequent nur eine der vereinbarten Sprachen mit dem Kind. Dies gewährleistet eine klare Trennung und unterstützt das Kind beim Erwerb beider Sprachen.
4. Integration von Aktivitäten in beiden Sprachen
Auch wenn jede Bezugsperson nur eine Sprache verwendet, können Aktivitäten, Spiele und Lieder in beiden Sprachen in den Kita-Alltag integriert werden. Auch alltägliche Situationen wie das gemeinsame Essen oder Anziehen können und müssen in einer der jeweiligen Sprachen erfolgen. Dies ermöglicht den Kindern, mit beiden Sprachen in verschiedenen Kontexten in Berührung zu kommen.
5. Klare Rollenverteilung im Team
Falls mehrere Fachkräfte in der Kita beteiligt sind, ist es wichtig, klare Rollen bezüglich der Sprachverwendung zu definieren. Jede Person sollte sich auf eine der beiden Sprachen spezialisieren, um eine klare Trennung zu gewährleisten.
6. Elternbeteiligung fördern
Die Kita kann Veranstaltungen oder Workshops für Eltern organisieren, um ihre Beteiligung am OPOL-Modell zu fördern. Dies könnte die gemeinsame Planung von Aktivitäten in der Kita und zu Hause einschließen. Eltern können beispielsweise in ihrer Sprachrolle aktiv am Kitaalltag teilnehmen, indem sie beim Morgenkreis etwas Vorlesen.
7. Beobachtung und Anpassung
Die Fachkräfte beobachten regelmäßig die Fortschritte der Kinder in beiden Sprachen. Bei Bedarf können Anpassungen am Modell vorgenommen werden, um sicherzustellen, dass die Bedürfnisse der Kinder angemessen berücksichtigt werden.
Translanguaging in der Kita
Translanguaging ist ein neues Konzept in der Sprachwissenschaft in dem davon ausgegangen wird, dass Sprecher:innen zweier oder mehrerer Sprachen, keine bewusste Trennung zwischen ihren sprachlichen Repertorien vornehmen, sondern die Sprachen zu einem gemeinsamen Bestand verknüpfen und sich aus diesem bedienen. Dabei sind ihnen die grammatischen Abgrenzungen ihrer Sprachen dennoch bewusst.
Dieser innovative Ansatz ist auch in der bilingualen Erziehungsarbeit angekommen. Dabei bezieht man sich bei der Anwendung auf die bewusste und kreative Integration verschiedener Sprachen im Bildungsumfeld, um eine reichhaltige Sprachumgebung zu schaffen. In Kitas bedeutet Translanguaging, dass mehrere Sprachen nicht nur toleriert, sondern aktiv und personenunabhängig gefördert werden.
Die Integration von Translanguaging in den Bildungsalltag einer Kita umfasst vielfältige Praktiken. Die Fachkräfte ermutigen Kinder dazu, alle ihnen zur Verfügung stehenden Sprachen flexibel zu nutzen, sei es beim Spielen, Kommunizieren oder Lernen. Dabei wird der Fokus auf die Bedeutung des Ausdrucks und Verstehens gelegt, unabhängig von der spezifischen Sprache. Es entsteht eine dynamische Umgebung, in der Sprache als Werkzeug für den Austausch von Ideen und die Entwicklung von Konzepten betrachtet wird.
Die Flexibilität und der dynamische Sprachgebrauch beim Translanguaging ermöglichen den Kindern, ihre mehrsprachigen Fähigkeiten auf natürliche Weise zu entwickeln. Die Praxis umfasst Aktivitäten, bei denen Kinder nahtlos zwischen den Sprachen wechseln, um ihre Gedanken und Gefühle am besten auszudrücken. Dieser Ansatz unterstützt nicht nur die Sprachkompetenz, sondern fördert auch ein tieferes Verständnis für kulturelle Vielfalt und den Austausch von Perspektiven.
Praxisbeispiele zeigen, wie Translanguaging eine inklusive und unterstützende Lernumgebung schaffen kann. Zum Beispiel könnten Liedtexte, Geschichten und Aktivitäten bewusst in verschiedenen Sprachen präsentiert werden. Dies ermöglicht den Kindern, ihre kulturelle Identität zu stärken und gleichzeitig die Fähigkeit zu entwickeln, sich in einer vielsprachigen Welt zurechtzufinden. Bei der Integration des Translanguaging Ansatzes im Kita-Alltag gilt es folgende grundlegende Schritte zu beachten:
1. Schaffen einer mehrsprachigen Umgebung
Kita-Räume sollten so gestaltet sein, dass sie die kulturelle und sprachliche Vielfalt der Kinder widerspiegeln. So können beispielsweise Begrüßungsworte und Elterninformationen in allen Familiensprachen, die in der Kita vertreten sind, im Flur zu finden sein.
2. Bewusster Einsatz von Sprachen
Fachkräfte sollten dazu ermutigt werden, sich ihrem eigenen Sprachrepertoire zu bedienen und bewusst verschiedene Sprachen in ihre Aktivitäten mit den Kindern zu integrieren, zum Beispiel beim Vorlesen von Büchern in englischer oder spanischer Sprache. Auch das Essen kann in diversen Sprachen begleitet werden und Lebensmittel, wie ein Apfel auf allen Sprachen, die bekannt sind, benannt werden.
3. Flexibles Sprachmanagement und Peer-Interaktionen
Kindern soll es erlaubt sein, flexibel zwischen den Sprachen zu wechseln, je nachdem, welche für sie am natürlichsten und effektivsten ist. Dabei sollte die Nutzung von Sprachen in einem kontextuellen und bedeutsamen Rahmen gefördert werden. Auch sollten sie darin bestärkt werden miteinander in verschiedenen Sprachen zu interagieren, um Vielfalt akzeptieren und wertschätzen zu lernen.
4. Klare Kommunikation mit Eltern
Genau wie beim OPOL-Modell, ist eine gute Kommunikation zwischen Eltern und Fachkräften in Bezug auf den Translanguaging Ansatz enorm wichtig. Prinzipien und Benefits, etwa wie der Ansatz die Sprachentwicklung und kulturelle Identität aller Kinder fördern kann, sollten erklärt werden. Eltern sollten auch dazu ermutigt werden die jeweilige(n) Familiensprache(n) zu Hause mit ihren Kindern zu sprechen.
5. Fortbildungen für das pädagogische Personal
Auf fachlicher Ebene sollte die Sensibilität der pädagogischen Fachkräfte für mehrsprachige Erziehung durch Schulungen und Workshops gestärkt und ihnen praktische Strategien und Impulse für die Integration von Translanguaging vermittelt werden.
6. Mehrsprachige Materialien und Ressourcen
Es sollte immer eine Vielzahl von mehrsprachigen Ressourcen zur Verfügung stehen; darunter Bücher, Spiele und andere pädagogische Materialien. Dies unterstützt die Kinder dabei, ihre Sprachkompetenzen in verschiedenen Sprachen zu entwickeln.
7. Dokumentation und Reflexion
Die Dokumentation über den Fortschritt und die positiven Effekte des Translanguaging-Ansatzes ist besonders wichtig. Außerdem sollten regelmäßige Reflexionssitzungen durchgeführt werden, um die Wirksamkeit der Praktiken zu bewerten und bei Bedarf Anpassungen vorzunehmen. Dabei sollte auch das Feedback der Kinder und Eltern mit einbezogen werden.
Empfehlungen und Ressourcen
Kitas, die das OPOL- oder Translanguaging-Modell implementieren möchten, können von verschiedenen Ressourcen profitieren. Fortbildungen für Fachkräfte, die sich auf mehrsprachige Pädagogik konzentrieren, bieten eine solide Grundlage. Pädagogische Materialien in verschiedenen Sprachen sowie Zusammenarbeit mit Sprachexpert:innen können die Umsetzung unterstützen. Der Austausch mit anderen Kitas, die erfolgreich mehrsprachige Modelle implementiert haben, kann ebenfalls wertvolle Einblicke bieten. Der Schlüssel liegt darin, kontinuierlich auf dem neuesten Stand zu bleiben und sich auf bewährte Praktiken zu stützen, außerdem sollte genug Raum für Reflektionen zum Projekt eingeräumt werden, um gegebenenfalls Stellschrauben, wie Methoden und Konzepte, nach den jeweiligen Bedürfnissen der Kinder und Fachkräfte anpassen zu können. So sollte es gelingen eine erfolgreiche mehrsprachige Umgebung in Kitas zu schaffen.
Für Eltern, die den bilingualen Weg wählen, sind einige Tipps entscheidend. Zum einen ist es wichtig, sich einen Überblick zu verschaffen, welches Modell sich am besten für die jeweilige Familiensituation eignet. Zum anderen sollte basierend darauf dann eine klare und konsistente Anwendung des gewählten Modells gewährleistet werden, sei es das OPOL- oder Translanguaging Modell. Die Schaffung von Alltagssituationen, egal ob klein oder groß, spontan oder aufwendig geplant, in denen beide Sprachen natürlich integriert werden, fördert eine organische Sprachentwicklung und ist somit als ein Gewinn für die Entwicklung jedes Kindes zu verstehen.
Vielsprachigkeit als Bereicherung
Insgesamt unterstreichen das OPOL- und das Translanguaging Modell die positiven Auswirkungen mehrsprachiger Erziehung auf die ganzheitliche Entwicklung von Kindern.
Die klare und konsistente Trennung der Sprachen im OPOL-Modell und die dynamische und flexible Integration verschiedener Sprachen im Translanguaging bieten Kindern vielfältige Chancen für kognitive Entwicklung und interkulturelle Kompetenzen. Bilinguale Erziehung in Kitas kann dabei helfen, eine Generation von weltoffenen Menschen beim Aufwachsen zu unterstützen, die die Vielsprachigkeit als Bereicherung betrachten, sprachbegeistert sind und mit interkultureller Sensibilität durch das Leben gehen.
Der Artikel wurde mit Unterstützung von ChatGPT und in Co-Autorenschaft von Julia Klüver erstellt.
Literaturtipp zum Thema
Gogolin et al. (2020). Handbuch Mehrsprachigkeit und Bildung. Springer VS Wiesbaden.
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Zur Person
Julia Klüver ist studierte Sprach- und Kulturwissenschaftlerin und arbeitet als Fachkraft für die sprachliche Bildung im Landesprogramm “Sprach-Kitas” Schleswig-Holstein. Zusätzlich ist sie Studentin der Kindheitspädagogik.
Julia Klüver ist studierte Sprach- und Kulturwissenschaftlerin und arbeitet als Fachkraft für die sprachliche Bildung im Landesprogramm “Sprach-Kitas” Schleswig-Holstein. Zusätzlich ist sie Studentin der Kindheitspädagogik.
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