May 17

Alltagsintegrierte Sprachbildung mit einfachen Gebärden


Ein Artikel von Vivian König
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Auf dem Weg zur Sprache sind Gesten und Gebärden natürliche Helfer für die gegenseitige Verständigung und intuitiver Bestandteil unserer Kommunikation. Insbesondere im Krippenalter, während Kinder in die Lautsprache hineinwachsen, bilden Gebärden spielerisch eine Brücke zu den ersten Worten und eignen sich ideal als kindgerechte und spielerische vorsprachliche Kommunikationsmöglichkeit.

Sprachbegleitende Handzeichen lassen uns Wörter nicht nur besser verstehen, sie eröffnen auch von klein auf die Möglichkeit zur aktiven Teilhabe. Die Zwergensprache wurde für Kinder zwischen sechs Monaten und drei Jahren konzipiert. Mittlerweile findet sie in der Praxis jedoch bis ins Grundschulalter hinein begeistert Anwendung. Das Konzept beruht auf Gebärden aus der Deutschen Gebärdensprache, die für wichtige Schlüsselworte zusätzlich zum gesprochenen Wort gezeigt werden. Die einfache Methode gibt dadurch jedem Kind ganz inklusiv die Chance, sich aktiv durch Kommunikation zu beteiligen.

In Beziehung gehen durch eine gemeinsame Kommunikation

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Abb. 1: Gebärde für „Schwein” (links), Gebärde für „Fisch” (rechts), Quelle: Zwergensprache GmbH

Bereits im frühen Alter von 6 bis 9 Monaten können Säuglinge häufig benutzte Worte verstehen und wiedererkennen. Diese lernen sie umso leichter, wenn Eltern und Betreuer die Begriffe nicht nur aussprechen, sondern sie ihnen durch begleitende Gesten oder Handzeichen auch visualisieren. Jeder kennt dies vom Winken zum Abschied, den Finger auf den Mund legen für „leise sein“, die Hand hinters Ohr halten für „horch“ oder sich über den Bauch streichen für „lecker“. Kinder nehmen diese Gesten mit Freude auf und spiegeln sie uns zurück. In solchen Momenten freuen wir uns zusammen und sind in Verbindung.

Bewegte Hände - bewegte Sprache - bewegendes Miteinander

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Abb. 2: Gebärde für „Musik an” (links), Gebärde für „Katze” (rechts), Quelle: Zwergensprache GmbH

Gebärden bewirken aber noch viel mehr. Auf dem Weg bis zur verständlichen Lautsprache ermöglichen die bildhaften Handzeichen der Zwergensprache dem Kind nicht nur unsere Worte besser zu verstehen, sondern auch seine Bedürfnisse und Wünsche konkret und auf altersentsprechende Weise auszudrücken.

Kinder lieben es, die bei uns oder anderen Kindern beobachteten Gesten nachzuahmen, eigenständig auszuprobieren und sich selbstwirksam zu erleben, wenn sie von uns gesehen und mit entsprechendem Erfolg verstanden wurden. So können sie begeistert ihre Entdeckungen mit anderen teilen, zum Spielen einladen, Bedürfnisse kundtun, eigene Grenzen setzen, Fragen stellen, sich Rückversicherung holen und in der Gruppe angenehme, sozialverträgliche Ausdrucksweisen nutzen.

Motorisch sind Kinder deutlich früher in der Lage zu gebärden - und zwar lange bevor die physiologische Reife zum verständlichen Sprechen erreicht wird. Es reduziert deshalb im Alltag viel Frust und Rätselraten auf beiden Seiten, wenn man seine Hände als Kommunikationsmittel bewusst zu Hilfe nimmt.

Sprache mit vielen Sinnen erleben

Mit den Händen zu reden, unterstützt die Kinder zudem intensiv beim ganzheitlichen Lernen und Begreifen der Welt - nicht nur beim Lernen der Lautsprache. Studien des Max-Planck-Instituts für Kognitions- und Neurowissenschaften in Leipzig haben gezeigt, dass in Lernsituationen, in denen neue Worte nicht nur über Sprache gehört, sondern auch mit Handbewegungen vorgelebt und nachgeahmt werden, ein deutlich komplexeres Netzwerk im Gehirn aktiv ist.

Wir Menschen sind seit Urzeiten „Augentiere“ und nehmen 80% der Reize, die in unserem Gehirn verarbeitet werden, visuell auf. Deshalb kommt ihnen die bildhafte Komponente der Gebärden beim Lernen neuer Begriffe besonders entgegen. Je mehr Sinne und Lernkanäle wir gleichzeitig ansprechen, desto besser ist neues Wissen zugänglich, speicher- und abrufbar.

Die sogenannten Babyzeichen oder Kindergebärden sind dabei also kein Ersatz für die Lautsprache, sondern eine bildhafte Untermalung und Begleitung unserer Worte zusätzlich zu den akustischen Eindrücken. Forschungen von Susan Goldin-Meadow, Entwicklungspsychologin und Meredith L. Row, Professorin für frühkindliches Lernen und frühkindliche Entwicklung an der Harvard University, haben außerdem nachgewiesen, dass Kleinkinder, mit denen bewusst viel gestikuliert wurde, bis zum Schulalter einen Wortschatzvorsprung haben. Sie werden also in keiner Weise sprechfaul, wie manch einer auf den ersten Blick glauben könnte. Eher im Gegenteil – Gebärden machen ersten Worten sprichwörtlich „Beine“ und helfen dem Selbstausdruck auf die Sprünge. Gesten sind generell ein wichtiger, untrennbarer Teil unserer Sprache und als solche auch über Sprachgrenzen hinweg oft intuitiv verständlich.

Vorteile von Gebärden im Kita-Alltag

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Abb. 3: Gebärde für „Hände waschen” (links), Gebärde für „arbeiten” (rechts), Quelle: Zwergensprache GmbH

Im gesamten englischsprachigen und im skandinavischen Raum nutzen Eltern und Betreuungseinrichtungen schon viele Jahrzehnte das sogenannte „baby signing“. Mittlerweile ist die Zwergensprache auch in Deutschland seit 20 Jahren etabliert. Neben Familien erkennen aktuell auch immer mehr Kindertageseinrichtungen, wie hilfreich eine bewegte Sprachförderung mit Gebärden für ein verständnisvolles Miteinander und die Begleitung von Ritualen ist – egal ob mit den Jüngsten oder mit Kindern mit Deutsch als Zweitsprache. Dabei erleben sie, wie gut gebärdende Kinder, die die Zeichen schon zuhause kennengelernt haben, bereits während der Eingewöhnungszeit zu verstehen sind.

Folgende Aspekte der Zwergensprache haben eine positive Wirkung auf die kindliche Sprachentwicklung und -förderung:

Verständigung erleichtern und Mitsprache ermöglichen: 
Da sich die Handmotorik früher entwickelt als die Mundmotorik, nutzen Kinder für ihren Selbstausdruck Babyzeichen bzw. Kindergebärden vor dem aktiven Sprechen. Damit verringern sich Frust und Missverständnisse.

Selbstvertrauen stärken: 
Eine gelingende Verständigung im Miteinander stärkt den Selbstwert, das Vertrauen in die eigenen Fähigkeiten und den Mut, sich zu äußern.

Ganzheitliches Lernen: 
Kindergebärden bieten auf „sinn-volle“ Weise ein anregendes Sprachumfeld. Kinder können so Sprache nicht nur hören, sondern auch sehen und fühlen und dadurch verschiedene Lernkanäle ihren Stärken entsprechend gleichzeitig nutzen.

Sprechfreude wecken: 
Der Ausdruck eigener Wünsche und Gedanken ist von klein auf ein Grundbedürfnis. Gebärden erhöhen die Aufmerksamkeit für die Kommunikationsversuche der Kinder. Sie regen zum Mitteilen und Nutzen aller Ausdrucksmöglichkeiten an.

Bindung, Orientierung und Sicherheit stärken: 
Beobachtungen haben gezeigt, dass Kinder rascher Vertrauen zu neuen Bezugspersonen fassen, wenn diese mit ihnen gebärden. Zudem können sie sich im Tagesverlauf besser auf den Wechsel von einer Situation zur nächsten einlassen, wenn die Übergänge mit Gebärden begleitet werden.

Selbstwirksamkeit erleben:
Sich durch Handzeichen erfolgreich verständlich machen zu können und sich gesehen und verstanden zu fühlen, stärkt das Kompetenzgefühl eines jeden Kindes.

Wertschätzender Dialog:
Der Schlüssel zu Wohlwollen und Respekt ist gegenseitiges Verständnis. Kindergebärden stärken deshalb unter anderem das Miteinander auf Augenhöhe, Vertrauen und Bindung.

Bewusster Blickkontakt und Fokus:
Gebärden brauchen Blickkontakt und sensibilisieren für Mimik und Gestik. Die Handbewegungen fangen zudem die Aufmerksamkeit der Kinder ein und erleichtern ihnen das Fokussieren.

Hand-Auge-Koordination fördern:
Gebärden richten die Aufmerksamkeit auf die Bewegungen der eigenen Hände und verbessern die Grob- und Feinmotorik, die Hand- und dadurch auch die spätere Sprechgeschicklichkeit.

Mehrsprachigkeit unterstützen:
Gebärden fungieren als einheitliche, bildhafte Gruppensprache. Sie beziehen alle gleichberechtigt ein und ebnen den Weg zum leichteren Verständnis wichtiger Begriffe in der Umgebungssprache und zur aktiven Teilhabe.

Chancengerechtigkeit:
Sprachbegleitende Handgesten geben jedem Kind die Möglichkeit, sich mitzuteilen. Unabhängig von Alter, Muttersprache oder Entwicklungsverzögerungen und Unterstützungsbedarf (zum Beispiel für Late Talker, Kinder mit Down-Syndrom, LKGS, ASS, Hörschädigung usw.) steigern sie die Qualität und Quantität der Interaktionsmöglichkeiten.

Beliebte Gebärden für jeden Tag

Mit Gebärden ist den ganzen Tag interaktive Sprach-Spiel-Zeit möglich – ganz einfach nebenher beim Sprechen. Der Einsatz konkreter Gesten für Schlüsselworte gibt Kindern sowohl Zuhause als auch in ihren Einrichtungen mehr Orientierung und Sicherheit für Abläufe, Routinen und Übergänge. Er schenkt ihnen gleichzeitig auch Aufmerksamkeit für ihre Bedürfnisse und weckt spielerisch die Freude am Kommunizieren.

Die Kleinen beobachten im Alltag, was unsere Hände in verschiedenen Situationen zeigen und ahmen es dann, so gut, wie es ihr motorischer Entwicklungsstand ermöglicht, nach. Die Gebärden für die Dinge, die sie selbst interessieren oder die für sie wichtig sind, werden dabei natürlich am liebsten genutzt.

Folgende Starterzeichen sind im Kita-Alltag bei Kindern besonders beliebt:
Musik, wo, Licht, noch mehr/nochmal, spielen, essen, trinken, fertig, müde, Ente, Buch, Auto, Baum und Blume.

Für das Fachpersonal sind nützliche Gebärden auch solche, die Rituale, Übergänge und soziale Interaktionen begleiten wie beispielsweise: abwechseln, teilen, warten, aufräumen, Toilette oder wickeln, anziehen, basteln, stopp

Die Kinder nutzen die Zeichen der Zwergensprache so lange, bis ihnen die Kraft der gesprochenen Worte zur Verfügung steht und sie sich sicher im Sprechen fühlen. Erst nutzen sie nur die Gebärde, dann kommt das Lautieren dazu. Sobald sie das Gefühl haben, die zugehörigen Worte verständlich aussprechen zu können und darüber vom Umfeld verstanden werden, lassen sie die verwendeten Handzeichen schrittweise weg.

Bis dahin bieten die Handgesten ein Fenster zur Gedankenwelt der Jüngsten und der mehrsprachig aufwachsenden Kinder und lassen uns Erwachsene leichter an ihren Wahrnehmungen, Gefühlen und Entdeckungen teilhaben. Sie lenken unsere Aufmerksamkeit auf die Dinge, die die Kinder gerade beschäftigen oder von denen sie mehr erfahren möchten – weit über die bloße Zeigegeste hinaus. Durch konkrete Gebärden entsteht von klein auf ein interaktiver und vertrauensvoller Dialog auf Augenhöhe, der unheimlich viel Freude und Nähe für beide Seiten bringt.

Alltagsintegrierte Sprachbildung - wie Gebärden ersten Worten Beine machen

Aktiver Sprach-Spaß mit Gebärdenbegleitung bereichert und erleichtert im Kita-Alltag z.B. diese Aspekte:
  • Das Ankommen und Abschied nehmen von den Eltern erleichtern als auch Rückversicherungen während des Tages geben können
  • Die Aufmerksamkeit und den aktiven Einbezug im Morgenkreis unterstützen
  • Eine einheitliche Gruppensprache der Hände, bei der sowohl noch-nicht sprechende als auch mehrsprachige Kinder gleichberechtigt einbezogen sind
  • Eine Sprache, die der Bewegungsfreude der Kinder entspricht und körperlich erfahren werden kann
  • Lieder, Fingerspiele und Reime werden noch abwechslungsreicher und intensiver erlebbar
  • Bilderbücher und Geschichten können ausdrucksstärker zum Leben erweckt werden
  • handlungsbegleitendes Sprechen bekommt eine weitere anregende Dimension
  • voneinander lernen und zusammen rücksichtsvoll wachsen: kleine Kinder schauen sich neue Gebärden gern von den Älteren ab

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Zwergensprache - Gebärden in der vorsprachlichen Kommunikation

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Zur Person
Vivian König ist Mutter zweier babyzeichenerfahrener Kinder, Autorin und seit 20 Jahren als Ausbilderin und Gründerin des Zwergensprache-Netzwerkes in Deutschland, Österreich und der Schweiz tätig. 

Mehr Informationen, Bücher, App und Plakate unter:
www.zwergensprache.com
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